Bürgermeister Matthias Baaß: Haushaltsrede

Zur Einbringung des Haushalts 2023 in die Stadtverordnetenversammlung am 11.11.2022

Zuerst Corona, aber jetzt noch viel mehr der Überfall Russlands auf die Ukraine mit all seinen Folgen wie dem Hochschnellen der Energiepreise und die zunehmende Erwärmung der Erde, von der wir nunmehr nicht mehr nur von Wissenschaftlern hören, sondern, die wir spüren, deckt Handlungsbedarfe auf, die wir vorher auch schon kannten, die aber vielfach politisch folgenlos blieben. Ich erinnere da nur an die Leugner des Klimawandells aller Arten, wissenschaftlich wie politisch.

Wir haben billige Energie gerne „in Kauf genommen“, ja diese war ein grundlegender Bestandteil  unseres Wohlstandsmodells und dieses Wohlfühlen im Wohlstandsland hat dazu geführt, dass Modernisierung (auch Digitalisierung) im großen Stil unterblieben ist.

Ganz im Gegenteil hat die Bürokratisierung mit jedem Jahr in dem uns von unterschiedlichsten politischen Akteuren erklärt wurde, es werde alles einfacher, zugenommen. Auch deswegen befinden sich die Städte und Gemeinden in einer schwierigen Situation, wenn man die sich stellenden Herausforderungen angeht.

Wenn heute eine Sachbearbeiterin des Rathauses wegen den Inhalten eines uns von der WI-Bank auf Veranlassung eines Ministeriums übersandten Zuschussbescheides bei der zuständigen Mitarbeiterin der WI-Bank anruft und eine Frage stellt, wie wir denn die gestellte Bedingung in Anbetracht der Praxislage erfüllen sollen, gibt es dort sehr oft die Antwort: Das weiß ich jetzt auch nicht, das habe ich noch nie gehört, das muss ich mit dem Ministerium klären. Irgendwann rufen Sie dann bei der WI-Bank wieder an, um zu erfahren, dass es die Sachbearbeiterin nicht mehr gibt, die Frage aber noch nicht geklärt ist. Wenn Sie Glück haben, bekommen sie irgendwann eine Antwort, mit der sie mehr oder weniger etwas anfangen können. Oder sie bekommen zwei Antworten: eine aus dem Ministerium und eine von der WI-Bank. Und sie haben nochmal Glück, wenn sich nicht beide widersprechen.

Das ist kein exotischer Einzelfall, das ist der Alltag. Und da immer mehr Ministerien immer mehr Förderprogramme auflegen, statt den Gemeinden einfach generell das Geld zu geben, nimmt das immer weiter zu. Und manchmal ist es schlicht besser auf Mittel zu verzichten, wenn sie jemals einen Schritt weiterkommen wollen. Denn im Einzelfall haben weder Sie als Stadtverordnete noch die Bürgerinnen und Bürger Verständnis, warum das alles so lange dauert.

Ein Blick auf das Handlungsfeld „Energie erneuerbar erzeugen, Abhängigkeit verringern, klimaneutral werden“:

Bereits seit zwei Jahren verfolgt die Stadtwerke GmbH den Bau einer Freiflächenphotovoltaikanlage im Bereich westlich des BHKW Essigzapfen. Dafür wird eine Bebauungsplanänderung, vielleicht auch mehr, nötig sein. Im Rahmen der Bebauungsplanerarbeitung wird die Umweltverträglichkeit eine wesentliche Rolle spielen. Es ist plötzlich das Vorhandensein von Feldhamstern an dieser Stelle aufgetaucht, dort ohne Information an die Stadtverwaltung angesiedelt. Das Gebiet ist Bestandteil der Förderkulisse für den Feldhamsterschutz im Kreis Bergstraße (über das Hessische Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflege-Maßnahmen). Seit dem Frühjahr wird nun die Ausgangssituation aufgenommen, um zu klären, ob es Lösungen gibt, ob es überhaupt Sinn macht einen Bebauungsplan aufzustellen.

Das Verfahren zum Bebauungsplan wird nochmal ca. zwei Jahre dauern, es bedarf auch noch der kommunalpolitischen Diskussion, auch das braucht ggfls. noch Zeit. Erst nach einem Satzungsbeschluss könnte mit dem Bau der Anlage begonnen werden, nachdem im Verfahren alle möglichen Stellen beteiligt wurden. Von der guten Absicht bis zur sichtbaren Verwirklichung vergehen Jahre, in denen sich im Übrigen auch die wirtschaftlichen Parameter im Zweifelsfalle mehrfach verändern, hoffentlich eher zum Positiven, aber auch dafür gibt es keine Garantie.

So kann es nicht weitergehen! Wenn die Energiewende auf Basis dieser gesetzlichen Vorgaben stattfinden soll, dann gute Nacht, das wird nix.

Oder die Umstellung unserer kompletten Straßenbeleuchtung auf LED. Das wäre schon vollzogen. Voraussetzung: wir verzichten auf Fördermittel in Höhe von 960.000 €. Bei geplanten Gesamtausgaben von 1,6 Mio. €. Darauf kann man nicht verzichten. In der Kommunalpolitik wäre ein Verzicht ganz bestimmt nicht auf Gegenliebe gestoßen.

Die Kehrseite aber ist: es dauert und dauert – Antragsformulare bearbeiten (meist sehr umfangreich), langes Warten bis der Antrag irgendwann endlich bearbeitet ist, erst bei Vorliegen des Bescheides kann die Ausschreibung vorgenommen werden usw.

Zum Handlungsfeld „Verkehrswende“:

Viernheims Straßen ersticken an herumstehenden Autos. Für Fußgänger ist es unbequem bis gefährlich. Das Fahren mit dem Rad empfinden insbesondere ältere Menschen, für die es noch mehr selbstverständlich ist, dieses Verkehrsmittel zu benutzen, zunehmend als gefährlich.

Dass muss sich ändern, das geht aber nur mit den Menschen, die in den Straßen leben.

Wir haben die Anwohner in der Friedrichstraße zu einer Besprechung eingeladen, mit 30 haben wir uns vor Ort getroffen, diskutiert. Wir haben mit ihnen eine Testphase verabredet, eine Seite für die PKWs gesperrt, Schilder aufgestellt, die Geschwindigkeit gemessen, die Situation beobachtet. Wir haben die Bewohner dann wieder eingeladen, ihre Erfahrungen mit aufgenommen, unsere Datenlage geschildert. Und wir haben Einvernehmen erzielt, jedenfalls ein recht großes, was getan werden soll und das machen wir jetzt.

Das ist pro Straße ein erheblicher Aufwand, aber wir müssen da dran gehen!

Im Übrigen: Wir haben nichts gewonnen, wenn nun alle vorhandenen Autos zu E-Autos werden. Wir brauchen eine geringere Nutzung des PKW, es muss bequemer werden zu Fuß zu gehen, mit dem Rad zu fahren oder auch den ÖPNV zu nutzen. Wer dies bequemer machen will, wird dies oftmals zu Lasten des Autoverkehrs tun müssen, dieser wird unbequemer werden.  Kommunalpolitik wird es aushalten müssen, dass Straßenplanungen in den Gremien allein unter dem Aspekt, wie viele Parkplätze verloren gehen und welche man vielleicht doch noch schaffen kann betrachtet werden, muss ein Ende nehmen.

Zum Handlungsfeld „Kindertagesstätten-Plätze“:

Neulich wurde mir von der AWO zum Waldkindergarten berichtet: Rein zur Information sei dem Kreisjugendamt mitgeteilt worden, dass man einen von zwei zentralen Anlaufplätzen im Wald verändere, um neue Möglichkeiten zu haben. Es geht nicht um die Verlagerung des zentralen Standortes des Waldkindergartens mit dem Bauwagen, der bleibt. Vorsorglich hat das Kreisjugendamt mit dem Sozialministerium dazu Rücksprache gehalten. Reaktion des Ministeriums: Es muss eine neue Betriebsgenehmigung beantragt werden.

Alle schütteln nur den Kopf, was dieser bürokratische Aufwand soll. Denn es ändert sich im Kern nichts, es wird nur im Wald öfter eine andere Stelle aufgesucht, die genauso wenig umzäunt ist wie die Vorherige. Traut man einem erfahrenen Träger wie der AWO, erfahrenem Personal, nicht mehr zu die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die gewählte Stelle verantwortbar ist?

In diesem Fall trifft der Zusatzaufwand die AWO, nicht das Rathaus, der Unsinn bleibt der gleiche. Schnell und einfach ist anders.

Zweites Beispiel:

Um den Bedarf zu erfüllen, auch den Rechtsanspruch, brauchen wir weitere Kita-Plätze. Nach Diskussion wurde am 9.7.21 einstimmig die Erweiterung Kita-Kapellenberg als kurzfristige Maßnahme beschlossen.

Wo stehen wir heute: Am 17.10.22 hat der Magistrat ein Architekturbüro mit den Planungsleistungen beauftragt. Dem voraus gingen ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb und eine beschränkte Ausschreibung. Dem vorangegangen war eine funktionale Ausschreibung ohne Erfolg. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Plätze 2023 zur Verfügung stehen werden. Wenn das drei Jahre nach Beschluss der Fall ist, können wir froh sein - bei einer als kurzfristig eingestuften Maßnahme.

Es ist noch nicht viele Jahre her, dass bei einem solchen begrenzt bedeutsamen Bauwerk der Magistrat einfach ein Architekturbüro ohne ein formelles Verfahren aussuchen konnte. Ein Magistrat, der selbstverständlich auch von sich aus darauf geachtet hat, dass bei der Vergabe von Planungsaufträgen mehrere Büros berücksichtigt werden. Schneller war das auf jeden Fall !

In Anbetracht dieser Tatsachenschilderungen ist es geradezu atemberaubend, dass es im Sommer -in der Sommerpause der Gremien- gelungen ist, innerhalb von knapp drei Wochen die politische Rückendeckung von allen Fraktionen der Stadtverordneten-Versammlung für den Ankauf eines neuen Bürogebäudes zur Unterbringung der Stadtverwaltung zu organisieren, inclusive der Unterzeichnung eines Vorvertrags zwischen Käufer, Verkäufer und Mieter.

Dafür möchte ich mich bei Ihnen auch heute noch einmal sehr bedanken – das ist sehr zu loben!

Zum Haushalt insgesamt:

Der Magistrat legt Ihnen wiederum einen genehmigungsfähigen Haushalt vor, allerdings nur weil das Innenministerium im aktuellen Finanzplanungserlass erneut Erleichterungen mitgeteilt hat. Die Unwägbarkeiten, die sich aus der Corona-Krise für die Haushalte der Kommunen ergeben haben, gehen nun nahtlos in die nächsten Unwägbarkeiten resultierend aus dem Einmarsch Putin`s in die Ukraine und den Folgewirkungen (Energiesituation, Inflation) über. Um den Kommunen in dieser Situation zu helfen, gelten die Erleichterungen zur Erlangung der Genehmigungsfähigkeit fort.

Die vom Land Hessen an die hessischen Kommunen zu zahlenden grundlegenden „Schlüsselzuweisungen“ steigen erfreulich, im Falle Viernheim sind es konkret 5 Mio. € mehr als im Jahr 2022, denn die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden in Hessen sind im 2. Quartal 2022 insgesamt hoch ausgefallen, ebenso die Steuereinnahmen des Landes selbst. Da aus beidem die Schlüsselzuweisungen für 2023 gespeist werden, ist der Betrag höher.

Im kommenden Jahr rechnen wir mit Erträgen/Einnahmen in Höhe von 92 Mio. €. Die Schlüsselzuweisungen tragen dazu mit 23 % bei, die Anteile an der Einkommensteuer, die Viernheim zugewiesen werden, mit 24,6 %, die Gewerbesteuereinnahmen mit 15,8 % und die Grundsteuern mit 8,4 %.

Bei den Ausgaben/Aufwendungen rechnen wir für 2023 mit 90,8 Mio. €. An den Landkreis fließen davon 36, 3 % ab (Kreis- und Schulumlage).

Erfreulicherweise haben Landrat und Finanzdezernent am Dienstag dieser Woche mitgeteilt, dass im vom Kreisausschuss festgestellten Entwurf des Kreisetats für 2023 keine Erhöhung von Kreis- und Schulumlage vorgesehen ist. Dies gelingt dem Kreis, so die Mitteilung, aber nur, weil er beim Land Hessen gleichzeitig beantragt die Rückzahlungen an die Hessenkasse auszusetzen. Für spätere Jahre seien Erhöhungen von Kreis- und Schulumlage in der Finanzplanung eingerechnet.

Zu Viernheim:

Das gegenwärtig geplante positive Jahresergebnis im Ergebnishaushalt von 1,2 Mio. € wird sich noch verschlechtern, da im weiteren Verlauf bis zum Haushaltsbeschluss auf jeden Fall noch Ausgaben hinzukommen, die sich aus der Anmietung des neuen Bürogebäudes (Ellipse) ergeben. Hier sind noch Mittel für die Jahresmiete und für Anschaffungen sowie technische Ausstattungen zu berücksichtigen. Das liefern wir noch nach.

Der Zuschussbedarf für die Kita-Plätze steigt im Plan jetzt erstmals über die 10 Millionen-Euro-Grenze. Pauschal betrachtet: Jeder Platz in einer Kita in Viernheim (es gibt 1.517 Plätze) wird von der Stadt Viernheim im Jahr mit 6.590 € bezuschusst.

Das Investitionsprogramm in 2023 wird weiterhin in erster Linie durch den Bau des Entlastungssammlers bestimmt. Die Maßnahme soll Anfang 2024 abgeschlossen sein. Die Refinanzierung erfolgt zeitversetzt durch Kanalbenutzungsgebühren.

Vorgesehen ist der Abschluss der Arbeiten an der Rudolf-Harbig-Halle und der Aufbau eines Sirenennetzes. Der Umbau Saarlandstraße beginnt mit dem Teilabschnitt des neuen Kreisels am Bürgerhaus. Die Straßenbeleuchtung wird komplett auf LED umgestellt. Die Erweiterung des Feuerwehrgerätehaus wird vorbereitet. Im Waldstadion sind Investitionen vorgesehen.

In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass beim Abwasserverband alle Planungen laufen, damit eine 4. Reinigungsstufe eingebaut werden kann. Auch deshalb bewegt sich die Umlage an den Abwasserverband Bergstraße weiterhin auf hohem Niveau, weitere größere Instandsetzungs- und Sanierungsmaßnahmen kommen hinzu. Für die badischen Kommunen hat das Land bereits einen Zuschuss bewilligt. Für die hessischen Kommunen ist der Antrag schon seit langem eingereicht.

Zu den Energiekosten:

Wir haben die nötigen Ausgaben an die veränderte Ausgangslage angepasst, also erhöht,  in dem Maße, wie dies im Moment für uns absehbar ist. Dass in Viernheim schon sehr früh begonnene kontinuierliche Energiemanagement spart uns erhebliche Kosten. Die früheren Investitionen machen sich jetzt doppelt und dreifach bezahlt.

Abschließend noch zu Gebühren und Steuern:

Die Stadtverordneten-Versammlung hatte mit dem Aufheben der Satzung zur Erhebung wiederkehrender Straßenbeiträge in ihrer Sitzung am 8.4.2022 der Verwaltung aufgegeben im Entwurf des Haushaltsplanes 2023 die Kompensation der wegfallenden Einnahmen zu berücksichtigen. Dies ist mit 2,6 % bei der Gewerbesteuer und mit 3,2 % bei der Grundsteuer erfolgt. Weitere Veränderungen bei der Höhe von Gebühren etwa im Bereich Abwasser oder Friedhof sind nicht vorgesehen.

Ich darf mich bei allen, die an der Aufstellung des Gesamtwerkes Haushalt 2023 mitgewirkt haben, sehr bedanken, ganz besonders selbstverständlich bei Frau Rohrbacher und ihrem Team des Kämmereiamtes! Und wünsche Ihnen und uns eine gute Beratung des Planes in den vorgesehenen Gremiensitzungen.