Angespannte Kitaplatz-Situation in Viernheim – Stadt und Träger nehmen Stellung zur aktuellen Lage

„Wir sind uns des gesellschaftlichen Stellenwertes der Arbeit in den Kitas bewusst und sehen die Problematik, dass Eltern in hohem Maße auf die Verfügbarkeit von Plätzen angewiesen sind. Wir sehen uns in der Pflicht die ehrliche Botschaft zu senden, dass das gewohnte System nicht mehr rund läuft, jedenfalls nicht komplett. So ist die Lage,“ lautet gleich zu Beginn die Botschaft von Bürgermeister Matthias Baaß, der gemeinsam mit den Trägern der Kindertagesstätten im Rahmen einer Pressekonferenz zur aktuellen und absehbaren Betreuungssituation in Viernheim informiert.

Hintergrund ist, dass die Stadt in etlichen Fällen den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, den es seit 10 Jahren bundesweit auf einen Kitaplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr gibt, nicht erfüllen kann. Bei Kindern ab drei Jahren ist die Lage noch gravierender. „Für einen Teil der Eltern hat dies jetzt schon Folgen, es können noch mehr werden, die betroffen sind“, legt Baaß die Fakten unverblümt auf den Tisch.

Größtes Problem ist der Fachkräftemangel. Bereits jetzt können 12 bis 15 Plätze im Krippenbereich, in dem es eigentlich 267 verfügbare Plätze gibt, derzeit noch nicht vergeben werden, weil kein Personal vorhanden ist. Das Gleiche gilt für den Kindergartenbereich mit insgesamt 1.290 Plätzen, wo eine ganze Gruppe mit 25 Kindern aufgrund Personalmangel nicht belegt werden kann. Hinzukommen 112 Platzreduzierungen aufgrund 42 Integrationskinder, womit am Ende nur noch 1.153 Plätze zur Verfügung stehen. Die Lage sei zwar von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich, „ich habe aber die Sorge, dass sich die Lage weiter verschlechtern könnte“, so Baaß. Daher sehe er es gemeinsam mit der Trägerschaft als Verpflichtung, Transparenz zu schaffen und frühzeitig über die angespannte Situation zu informieren. Gekoppelt mit der Botschaft, dass „die Rechtsgarantie auf einen Betreuungsplatz unter den momentanen Gegebenheiten derzeit nicht leistbar ist und eventuell auch in naher Zukunft nicht besser wird.“

Aus diesem Grund habe man sich auch vor wenigen Wochen mit allen Trägern besprochen. Von einer flächendeckenden Einkürzung von Betreuungszeiten, die das Problem des Personalbedarfs umgehend entschärfen würde, wollen alle Verantwortlichen vorerst noch absehen und nur dann darauf zurückgreifen, wenn alle anderen Maßnahmen nicht mehr greifen. Auch sei die Stadt aktuell dabei, das Betreuungsangebot um rund 200 Plätze weiter auszubauen, doch die Frage nach Personal bleibt.

Stattdessen bemüht sich die Stadt für sich und alle anderen Träger um eine andere Strategie, nämlich die Gewinnung von Personal. Hierzu wird die städtische Gleichstellungsbeauftragte Maria Lauxen-Ulbrich von einigen ihrer Aufgaben freigestellt und die Initiative „Fachkräfte für Viernheims Kitas“ in Angriff nehmen, um mit verschiedenen Maßnahmen vorhandenes Personal zu binden und insbesondere neues Personal für die Kindertagesstätten zu gewinnen. „Wir können keine Wunder versprechen, aber wir tun alles, um für geordnete Abläufe zu sorgen und sind gemeinsam aktiv, um auch neue Wege zu gehen“, so das Stadtoberhaupt.

Aktuelle Lage in Viernheim
Dass eine Stadt den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nicht erfüllen kann, ist kein neues Phänomen und für viele Städte und Gemeinden, auch im Kreis Bergstraße, seit mehreren Jahren eine große Herausforderung. Auch in Viernheim gab es immer mal wieder einen „Engpass“, um den Familien zum gewünschten Zeitpunkt einen Betreuungsplatz anbieten zu können. Doch die Zahlen für die Bedarfsplanung, die im gemeinsamen Treffen zwischen Stadt und Trägern in diesem Jahr für das erste Halbjahr 2024 eruiert wurden, sind alles andere als gut. „Im Krippenbereich konnten von 85 angemeldeten Kindern 55 mit einem Platz versorgt werden, 30 Kinder mussten auf die Warteliste genommen werden“, lautet das Ergebnis von Sozialamtsleiter Rudolf Haas. Und im Ü3-Bereich (Kinder ab 3 bis 6 Jahren) stünden 1.153 verfügbaren Plätzen 1.400 Kinder im Kindergartenalter gegenüber, so dass auch hier nicht jedes Kind versorgt werden könne, so Haas weiter. Der Deckungsgrad liege derzeit bei 82,4 Prozent. Angestrebt seien 95 Prozent, doch wann dies möglich sei, könne nicht prognostiziert werden und die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Kindergartenlandschaft selbst.

Zum einen stieg die Nachfrage für einen Betreuungsplatz gerade im Krippenbereich wesentlich an. Lag dieser in den zurückliegenden Jahren noch bei 40 bis 45 Prozent, muss nun ein Anstieg auf über 50 Prozent verzeichnet werden. Doch die starke Nachfrage ist nicht der einzige Grund für den Platzmangel. Bemühungen, benötigtes Fachpersonal über den Arbeitsmarkt zu akquirieren, laufen ins Leere. Verschärft hat die Lage dann noch das „Gute-Kita-Gesetz“ im Jahr 2020, nach dem die Einsatzstunden des Personals erhöht werden mussten und dadurch ein gesteigerter Personalbedarf in den Einrichtungen entstand. „Dadurch wurde der Arbeitsmarkt mit Fachkräften so gut wie leergefegt“, weiß Haas. Der Teufelskreis beginnt schon mit dem fehlenden Nachwuchs. Die Ausbildungszahlen sind so gering wie noch nie. Nach Aussage der Bertelsmann-Stiftung werden bis zum Jahr 2030 allein in Hessen 25.000 Erzieher gesucht. Keine guten Aussichten, wenn man bedenkt, dass noch dazu die Generation der sogenannten „Babyboomer“ (Jahrgänge zwischen 1955 und 1970) in den nächsten Jahren in Rente geht.

Beim bestehenden Personal kommen dann noch Personalausfälle wegen saisonaler Erkrankungen, aber auch einzelne Ausfälle von Langzeiterkrankten aufgrund der Corona-Pandemie hinzu. Ebenso die Sonderregelung bei Schwangerschaft, bei der die betroffene Erzieherin nach Bekanntgabe vom Arbeitgeber im Rahmen des Gesundheitsschutzes sofort freigestellt werden muss und einen Personalverlust von heute auf morgen bedeutet – und das für längere Zeit. „Das alles führt zu gesteigerten Arbeitsbelastungen bei den verbleibenden Fachkräften und hier wieder zu neuen krankheitsbedingten Ausfällen“, macht Baaß deutlich.

Und parallel sind alle Einrichtungen im Rahmen ihrer Betriebserlaubnis verpflichtet, den gesetzlich vorgeschriebenen Personalschlüssel zu erfüllen, um eine gesicherte Kinderbetreuung zu gewährleisten. Wenn dieser nicht erfüllt werden kann, muss es Einschränkungen im Betreuungsbetrieb geben, die in einem Notfallplan je nach fehlenden Personalstunden stufenweise aufgegliedert sind.

Herausforderungen deutlich spürbar
Die Lage kann also sehr schnell sehr dynamisch werden, davon wissen auch die Träger der anderen Viernheimer Einrichtungen zu berichten, für die stellvertretend Pfarrer Markus Eichler für die gemeindeübergreifende Trägerschaft des Dekanats Bergstraße, Pfarrer Klaus Traxler für die evangelische Christuskirchengemeinde sowie Peter Lichtenthäler von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) beim Pressetermin das Wort ergriffen. „Ich kann die Eltern verstehen“, so Pfarrer Traxler, aber es sei auch wichtig zu erkennen, dass sich alle Verantwortlichen um eine Verbesserung bemühten, dass dies aber eben nur begrenzt machbar sei.

„Ich spüre täglich die Herausforderungen“ berichtet Pfarrer Eichler von der Einrichtung „Arche Noah“. Auch wenn die Personalsituation dort zurzeit noch ganz gut sei, könne sich das aber von heute auf morgen ändern. Er hatte das Glück, dass er eine Personalstelle über die Trägerschaft besetzen konnte und hofft indes, auch im Krippenbereich noch weitere Plätze stabilisieren zu können. Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen schon verbessert wurden hofft er diesbezüglich auf eine weitere Steigerung, damit der Beruf attraktiver wird und mehr Menschen bereit sind, diesen zu machen. „Es ist die wertvollste Arbeit, die wir haben“, so Eichler. Hier fehle es ganz klar an Wertschätzung, auch in finanzieller Hinsicht. Umso dankbarer sei er für die Initiative von Seiten der Stadt, gemeinsam mit den Trägern andere Lösungen zu finden.

Ganz ähnlich ist die Situation in den Kita’s der AWO, wo derzeit nahezu alle Stellen besetzt sind. „Jedoch nicht alle Beschäftigten sind Fachkräfte nach den Vorgaben des Landes“, stellt Peter Lichtenthäler ausdrücklich klar. Denn die AWO arbeite mit Zusatzkräften, die keine oder noch keine Anerkennung als Fachkraft im Sinne der Gesetzgebung hätten. Und dies auch nur in Bereichen, wo es gesetzlich möglich und inhaltlich vertretbar sei, wie zum Beispiel bei der Anmeldung im Flur, im Verpflegungsbereich oder der Sprachförderung. „Wenn aber eine verantwortliche, umfassende Erfüllung unseres Auftrags der Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder wegen Personalmangel nicht mehr gewährleistet werden kann, müssen wir Betreuungszeiten kürzen“, so das Fazit von Peter Lichtenthäler. Außerdem habe der Träger auch eine Fürsorgepflicht für das Personal, das zurzeit enorm überlastet sei. Daher richtet der Geschäftsstellenleiter auch gleichzeitig die Botschaft an die Eltern, bei Problemen oder Unzufriedenheit frühzeitig mit den Einrichtungen in Kontakt zu treten, anstatt diese in den sozialen Medien zu kommunizieren.